Geburtsschaden – fehlerhafte Auswertung eines CTG – Schmerzensgeld 400.000,00 €
Leitsätze des Gerichtes:
1. Ein niedergelassener Gynäkologe muss die Auswertung eines routinemäßig geschriebenen CTG einer Schwangeren so organisieren, dass er auf ein silentes CTG zeitnah reagieren kann, gerade wenn seine Helferinnen das CTG zwar anlegen können, aber darin nicht geschult und eingewiesen sind.
2. Erleidet das Neugeborene unter der Geburt einen hypoxischen Hirnschaden[1], der (auch) auf zeitverzögerte Einweisung in eine Klinik zurückzuführen ist, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000,00 € angemessen, wenn das schwerst hirngeschädigte geborene Kind unter seinem Zustand nicht zusätzlich leidet.
Anwalt Arzthaftung: OLG Hamm, 19.03.2018 – 3 U 63/15:
Das schwerst geschädigte Kind machte, vertreten durch seine Eltern, gegen den Beklagten, einen niedergelassenen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Schadensersatzansprüche wegen einer fehlerhaften gynäkologischen Behandlung der Mutter am 06.11.2008 geltend. Das Kind wirft sinngemäß dem Beklagten vor auf eine bestehende Sauerstoffunterversorgung nicht fachgerecht, insbesondere nicht zeitnah reagiert zu haben, wobei es zu schweren dauerhaft körperlichen und geistigen Schäden gekommen ist.
Die zunächst unkompliziert verlaufende Schwangerschaft zeigte bei den zuvor erfolgten Untersuchungen keinerlei Auffälligkeiten des Kindes. Erst bei der Untersuchung am 06.11.2008 wurde eine silentes CTG[2] und reverse flow[3] in der Nabelschnurarterie festgestellt. Es wurde dahingehend bewertet, dass ein schon länger andauernder Sauerstoffmangel vorgelegen haben solle. Dies wurde letztlich aber nicht bestätigt. Die Verspätete Reaktion führte zu schweren Hirnschäden des noch ungeborenen Kindes.
Das Landgericht hat die Klage noch abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass Behandlungsfehler des Beklagten nach dem Gutachten des Sachverständigen nicht feststünden. Insbesondere soll kein Fehler im Zusammenhang mit der CTG-Ableitung feststellbar gewesen sein.
Hiergegen wendete man sich dann mit der Berufung, die erfolgreich war. Das Oberlandesgericht führte insoweit aus, dass ein Behandlungsfehler hier bestand, da Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit an den zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen des Landgerichts bestanden.
Der Sachverständige in erster Instanz hatte noch ausgeführt, dass eine lückenlose Überwachung eines CTG nicht zu fordern sei, allerdings hat der Senat dieses Gutachten für wenig überzeugend gehalten. Es wurde ein neues gynäkologisches Sachverständigengutachten eingeholt, was im Ergebnis deutlich mehr überzeugt. Soweit der Sachverständige in erster Instanz noch zu seiner Begründung ausgeführt hat, dass das CTG nicht der Detektion einer kindlichen Notlage diene, hat der Sachverständige in zweiter Instanz dem in jeder Hinsicht plausibel und nachvollziehbar entgegengehalten, dass das CTG zwar häufig einen Normalzustand des Fetus bestätige. Ein pathologischer, also krankhafter, CTG-Befund könne, so der Sachverständige in zweiter Instanz, in Einzelfällen aber auch einen ersten wichtigen Hinweis auf eine akute fetale Gefährdung bieten, weshalb insoweit auch ein Notfallplan bereitgehalten werden müsse. Zu fordern war also auch die weitere schnelle Reaktion, soweit ein Notfall durch das CTG befundet wird.
Wenn – wie in der Praxis des beklagten Gynäkologen – nicht ärztliches Person das CTG abnimmt, das nicht dahingehend geschult ist, ein pathologisches CTG zu erkennen und dem Beklagten zur Kenntnis zu bringen, muss eine zeitnahe Einsicht des Beklagten persönlich sichergestellt sein, um auf mögliche Befunde rechtzeitig reagieren zu können. Verbunden ist damit nicht zwingend, dass ein CTG auch durch den Arzt abgenommen werden muss, allerdings ist es notwendig, so das OLG Hamm, dass der Arzt zumindest zeitnah, d.h. innerhalb von spätestens 15-20 Minuten nach Beendigung der Aufzeichnung, das CTG zur Kenntnis nimmt und eine entsprechende Auswertung vornimmt, sowie ggf. entsprechende Maßnahmen einleitet.
Auch ein weiterer Behandlungsfehler stand nach der Überzeugung des OLG Hamm in diesem Zusammenhang fest, da auch die Krankenhauseinweisung der Mutter des Klägers zur Überzeugung des Senats behandlungsfehlerhaft (zu spät) erfolgte. Der Sachverständige in zweiter Instanz hat hierzu ausgeführt, dass die Mutter des Klägers aufgrund der hoch Risikokonstellation unverzüglich nach der Diagnosestellung hätte notfallmäßig in das nächstgelegene Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Dort hätte eine Erstversorgung mit Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Herzkreislauffunktion erfolgen können, bzw. müssen.
Darüber hinaus wurde sogar noch ein dritter Behandlungsfehler zur Überzeugung des Senates festgestellt, da die Mutter nur unzureichend über den Ernst der Lage und die Erforderlichkeit, schnellstmöglich ein Krankenhaus aufzusuchen, informiert worden ist.
Insgesamt urteilte das Gericht 400.000,00 € Schmerzensgeld aus und die Feststellung, dass der Beklagte zur Zahlung sämtlicher weiteren (immateriellen und materiellen) Schäden verpflichtet sei.
Anmerkung durch Rechtsanwalt Rüdiger (Fachanwalt für Medizinrecht):
Die sich aus den oben genannten Grundsätzen ergebende Behandlungsfehler und Diagnosefehler führen hier zur weitgehenden Haftung des Arztes. Die Entscheidung verdeutlicht nochmal wie wichtig es für Ärzte ist Aufgaben auch selbst wahrzunehmen. Soweit Aufgaben delegiert werden muss sichergestellt werden, dass entweder das Personal ausreichend geschult ist, oder der Arzt die Ergebnisse überwacht.
Ob das Praxispersonal ausreichend geschult ist, ist natürlich durch den Patienten kaum erkennbar. Sollten Sie erste Zweifel haben, so bestehen Sie auf ein Gespräch mit dem Arzt/der Ärztin, denn letztlich wird das Schmerzensgeld Fehler dieser Art nicht kompensieren können.
Ihr Ansprechpartner im Arzthaftungsrecht und Medizinrecht:
Alexander Rüdiger,
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Lehrbeauftragter der Universität Siegen
Reppel Seekamp Bausen – Rechtsanwälte Fachanwälte Partnerschaft mbB
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[1] Hirnschädigung nach Sauerstoffunterversorung
[2] Liegt die Oszillation unter 5 spm spricht man von einem silenten CTG, das ein wichtiger Hinweis auf kindliche Probleme ist.
[3] Ausdruck einer maximalen Plazentapathologie ist dabei die fehlende enddiastolische Geschwindigkeit (diastolischer „zero-flow“) oder das Auftreten eines enddiastolischen Rückwärtsflusses (diastolischer „reverse-flow„).